WG87 – Briefentwurf an Anna Moll
Berlin, in der Nacht von Mittwoch, 19. auf Donnerstag, 20. Oktober 1910

Liebe und verehrte Frau

Heute Nacht bin ich aus Paris
heimgekehrt und will Ihnen
gleich mein Versprechen einlösen u
Ihnen über letzte Europa-
tage berichten. Wir mußten
uns sehr vorsehen, im Zug
war ein Bekannter \/, der
anscheinend sehr nachstellte, so
daß wir uns nur ab u zu in
meinem Coupé sahen. In Paris
ging alles ganz gut, die
hat mich \wol/ nicht gesehn, meine
Hochstaplermaske hat das ver-
hindert. Wir waren so unendlich
froh, daß uns noch ein paar
friedliche Stunden beschieden
wurden und daß wir den
inneren Kontakt wieder fanden,
der sich brieflich doch nie so er-
halten läßt. Ach \liebe/ Frau , wie
wir uns gegenseitig verstehen,
dieses kurze Sich kennen u
dieses lange sich – lieben. Was
für ein goldener edler und
reiner Mensch ist sie, ich liebe
Sie, weil Sie sie so herrlich
\an Leib u Seele/ hervorgebracht haben. Ich glaube
sie ist der Ruhm Ihres Lebens.


Apparat

Überlieferung

, .

Quellenbeschreibung

1 Bl. (1 b. S.) – Notizblock.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Beantwortet durch AMo4 vom 13. November 1910 (Sehr froh bin ich auch, dass Sie sich mit Alma noch aussprechen konnten): Wir waren so unendlich froh, daß uns noch ein paar friedliche Stunden beschieden wurden und daß wir den inneren Kontakt wieder fanden.

Datierung

AM hielt sich bis zum 19. Oktober 1910 in Paris auf (s. Themenkommentar: Die getrennten Anreisen zur Überfahrt nach New York 1910). Man kann davon ausgehen, dass sich auch WG an jenem Tag wieder auf den Weg nach Berlin machte, dabei mit dem Nachtzug reiste und in derselben Nacht oder am nächsten Morgen WG87 verfasste.

Übertragung/Mitarbeit


(Marie Apitz)
(Bettina Schuster)


A

Flesch, Violinist, mit persönlich bekannt.

B

die Maude – s. AM42 vom 17. oder 18. Oktober 1910.

C

dieses lange sich lieben – Diese Formulierung wurde zuvor bereits in AM31 vom 5. September 1910 verwendet.